Andrej Hermlin im Interview mit C. Traub – „Vieles erinnert mich an die DDR-Spätphase“
Shownotes
Andrej Hermlin ist ein Pianist und Swing-Musiker aus Berlin. Über drei Jahrzehnte war Hermlin Mitglied der Linkspartei. Sein Vater, Stefan Hermlin stammt aus einer jüdischen Familie und war einer der bekanntesten Schriftsteller in der DDR. Mit Andrej Hermlin spricht Cicero-Redakteur Clemens Traub über Israelfeindlichkeit in der Linkspartei, seine spannende Familiengeschichte und darüber, warum ihn der politische Zustand in Deutschland an die letzten Jahre der DDR erinnert.
Inhalt Podcast:
5:01 "Aber schon die Feststellung, dass es diesen Begriff 'Israelkritik' gibt, deutet an, dass Israel irgendwie anders ist, dass man das irgendwie anders sehen muss. Es ist ja ständig im Schwange die Behauptung, dass jede Kritik an Netanjahu irgendwie sofort antisemitisch wahrgenommen wird. Und das erinnert mich so an die Argumentation z.B. mancher Funktionäre der AfD, die dann sagen.'Ja, wir dürfen ja nichts mehr sagen, sonst sind wir gleich Nazis.' Es ist so eine leicht beleidigte Attitüde. Und mit viel Selbstmitleid. In Bezug auf die sogenannte Israel-Kritik ist das kompletter Blödsinn." (Andrej Hermlin)
16:56 "Glaubt denn wirklich irgendjemand ernsthaft, dass sich an der Lage etwas ändert? Wenn statt Netanjahu dann plötzlich Micky Maus? Premierminister von Israel ist. Ändert sich irgendwas an dem Vernichtungswillen der Hamas? Ja, die sagen das doch selbst! Das ist ja kein Geheimnis und das ist auch keine israelische Propaganda." (Andrej Hermlin)
27:50 "Also ich meine, in völlig unverdientermaßen natürlich war ich in dieser Situation reisen zu können. Wenn Sie die DDR in westliche Richtung verlassen können, wenn sie mit solchen Menschen aufwachsen wie Stefan Heim, Christa Wolf usw. und andere, die zu uns kamen. Wenn sie den Gesprächen lauschen wenn sie bestimmte Ideen vermittelt bekommen, dann haben Sie einen anderen Blick auf das Land. Das heißt die DDR erschien mir als ein missratenes, graues, langweiliges Land und trotzdem hatte ich lange Zeit diese irrationale Hoffnung, dass aus ihr etwas werden könnte." (Andrej Hermlin)
40:24 "Ich muss Ihnen auch sagen, ich finde diese ganze Ost-West-Diskussion auch nicht wirklich spannend.(…) Aber wir sind ein Land, die Unterschiede zwischen einem Bayern und einem Ostfriesen sind wahrscheinlich nicht geringer als die Unterschied zwischen einem Menschen aus Sachsen und einem aus Nordrhein-Westfalen. Wir sind unterschiedlich, aber wir sind ein Land, wir sind Deutsche." (Andrej Hermlin)
42:38 "Ich hätte Ihnen damals sagen können. Die DDR geht unter. Ich hätte Ihnen aber nicht sagen können, wann. Ich hätte Ihnen nicht sagen können, auf welche Weise. Und ich hätte Ihnen auch nicht sagen können, was danach geschehen wird. Nur dass sie untergeht. Und das Gefühl, was mich seit einigen Jahren umtreibt, ist das Gleiche. Das geht hier irgendwie zu Ende. Auch heute kann ich Ihnen nichts sagen, wann genau und was da geschehen wird und was danach kommen wird, das weiß ich nicht. Aber es gibt bestimmte Hinweise. Die wirkliche Inkompetenz und Unfähigkeit der politischen Klasse. Das ist wirklich erschreckend. Das sind wirklich inkompetente Leute. Das ist so, als würden sie ins Cockpit gehen auf einem langen Streckenflug und dann stellen sie fest, da sitzen zwei neunjährige Kinder vorne im Cockpit." (Andrej Hermlin)
48:26 "Und auf Seiten der Politik gibt es eine zunehmende Irritation darüber, dass die großartige Politik, die da betrieben wird, offensichtlich von großen Teilen der Bevölkerung gar nicht goutiert wird. Wir machen doch so viele schöne Sachen. Schaut doch mal her, du kannst dich doch engagieren. Das habe ich übrigens in der DDR auch gehört. Ja, es gibt doch die FDJ. Da kannst du dich doch engagieren, wenn du den Sozialismus besser machen willst." (Andrej Hermlin)
Ein Ossi
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