Wolfgang Richter im Interview mit Alexander Marguier – „Deutschland gerät ins Zentrum der russischen Zielplanung“

Shownotes

Es ist ein Spiel mit dem Feuer: Aufgrund der geplanten Stationierung von amerikanischen Mittelstreckenraketen auf deutschem Boden könnte die Bundesrepublik unvermittelt zu einem vorrangigen Angriffsziel russischer Vernichtungswaffen werden. Denn das aus dem Kalten Krieg bekannte „Gleichgewicht des Schreckens“ gilt auf einmal nicht mehr. Sogenannte Präemptivschläge werden wahrscheinlicher – und damit wächst die Gefahr eines verheerenden Militärkonflikts. Davon ist zumindest Wolfgang Richter überzeugt, Oberst a.D. und ehemals leitender Mitarbeiter an den deutschen Vertretungen bei der UN und bei der OSZE. Was der von Kanzler Olaf Scholz ohne parlamentarische Beteiligung vereinbarte Raketen-Deal tatsächlich bedeutet, darüber spricht Richter, Fellow beim Genfer Zentrum für Sicherheitspolitik, in dieser Ausgabe des Podcast Politik mit Cicero-Chefredakteur Alexander Marguier. Außerdem geht es um die aktuellen Entwicklungen im Ukrainekrieg und um verpasste Chancen für einen Waffenstillstand zwischen Russland und dem von seinen Truppen überfallenen Nachbarstaat.

Inhalt Podcast:

2:17 "Ich glaube nicht, dass Russland insgesamt strategisch in die Defensive geraten ist." (Wolfgang Richter)

5:42 "Die große strategische Lage verändert sich allerdings dadurch nicht. Die Ukraine ist insgesamt in der Defensive und hat große Schwierigkeiten, die Front im Donbass zu halten. Das Personal fehlt, wenn die Front weiter ausgedünnt wird. Das ist die russische Taktik." (Wolfgang Richter)

8:50 "Die Ukraine ist mit solchen Vorfällen vertraut und das ist auch nicht vergleichbar mit der US-Blockade, was im Moment in Deutschland passiert. Es ist eine vor allem innenpolitische Diskussion." (Wolfgang Richter)

12:55 "Und im Übrigen stellt sich hier die Frage an den Westen: Sind wir denn überhaupt willens und in der Lage, Personalnöte der Ukrainer etwa auszugleichen? Das können wir natürlich nicht, wenn wir nicht Kriegspartei werden wollen." (Wolfgang Richter)

14:39 "Wenn Sie beide Arme der Strategie zusammenfassen, dann muss ich sagen, dass eine ganze große Reihe von Fehleinschätzungen dieser Strategie unterlag und dass wir gut tun, solche Fehleinschätzungen jetzt nicht zu wiederholen. (…) Es ist aber auch vor allem die Feststellung, dass nach zweieinhalb Jahren Krieg die Strategie letztlich nicht den Erfolg gebracht hat. Es ist auch sehr schwer vorstellbar, eine Nuklearmacht, immerhin mit den USA einer der beiden größten dieser Erde, strategisch in die Knie zu zwingen, ohne dabei in eine Eskalationsgefahr zu geraten." (Wolfgang Richter)

20:48 "Und wenn diese beiden Waffensysteme in Deutschland stationiert werden, dann kann man also gerade bei dem letzten Typen innerhalb von wenigen Minuten, vielleicht zehn Minuten, Ziele tief in Russland angreifen, weit über Moskau hinaus. (…) Und darin liegt genau das Problem, dass man in kurzer Zeit also eine solche Angriffsfähigkeit schafft. Das ist nicht nur aus meiner Sicht die Frage der Abschreckung, sondern das berührt natürlich andere Fragen auch." (Wolfgang Richter)

22:58 "Wir müssen aufpassen, dass wir in dem Willen abzuschrecken, nicht gleichzeitig die strategische Stabilität verändern oder gefährden. Und die Tatsache, dass diese Waffensysteme im Grunde genommen in das strategische Gleichgewicht zwischen den USA und Russland eingreifen können, wird natürlich dann auf der russischen Seite in deren Perzeption nicht als Abschreckung aufgefasst werden, sondern als eine zusätzliche Fähigkeit, einen strategischen Angriff zu unterstützen oder zumindest eine Angriffsfähigkeit, sich konventionell zu schaffen, die auf das strategische Gleichgewicht einwirkt." (Wolfgang Richter)

27:29 "Jetzt ist die Frage eines Moratoriums für die Stationierung landgestützter Raketen eigentlich damit vom Tisch. Wenn das also kommt und nicht ein Rüstungskontrollzug noch in Fahrt gerät, dann werden die Russen, und so ist es angekündigt, auch gegenrüsten. Sie werden also ähnliche landgestützte Raketen aufstellen an der langen NATO - Russland Grenze. Und diese Raketen werden sich dann vor allen Dingen auf die Stationierungsräume richten. Und da wir im Moment der einzige Raum in Europa sind, in dem diese neuen Raketen stationiert werden derzeit auf absehbare Zeit, wird auch die russische Zielplanung sich vor allem auf Deutschland richten. Und das ist das, was ich in meinem Papier gesagt habe. Damit gerät Deutschland in das Zentrum der Zielplanung." (Wolfgang Richter)

31:08 "Wir sind abgewichen von einer traditionellen deutschen Kultur, alles, was wir tun, im Bündnis zu verankern und das Risiko, die Lasten und das Risiko zu teilen und nicht alleine auf uns zu nehmen." (Wolfgang Richter)

36:17 "Und ich vermisse bei dieser bilateralen Erklärung diesen Ausweg in Richtung Rüstungskontrolle. Es ist kein Doppelbeschluss, es ist ein Nachrüstungsbeschluss ohne Alternative." (Wolfgang Richter)

37:46 "Nur die Lage heute ist eine andere. Heute stehen hinter Russland große Staaten wie China, Indien, Brasilien und andere. Und es wird so einfach nicht sein, Russland nieder zu rüsten und stattdessen werden möglicherweise die Risiken erhöht. Das ist ein Vabanquespiel, das ist ein Hochrisikospiel und wenn es schiefgeht, geht es zulasten, und das ist mein Punkt, geht es zulasten Zentraleuropas, vor allem auch Deutschlands. Denn hier sind die Stationierungsräume besprochen." (Wolfgang Richter)

43:23 "Die Friedens- oder Kriegsfrage ist eine ganz entscheidende und top Frage. Und ich glaube, dass auch andere Parteien gut daran täten, das an die Spitze ihrer Überlegungen zu setzen." (Wolfgang Richter)

52:54 "Und es war offenbar in nicht nur eine Zielsetzung, sondern man glaubte, es sei auch in Reichweite, Russland so zu ruinieren, dass sie hier zurückweichen müssen und auch als strategischer Gegner erheblich geschwächt werden. Diese Rechnung ist nicht aufgegangen.(…) Und jetzt, nach zweieinhalb Jahren, hat sich die Verhandlungsposition der Ukraine im Grunde genommen nicht verbessert. Ich glaube sogar, sie hat sich erheblich verschlechtert." (Wolfgang Richter)

55:09 "Wenn man die Ressourcen miteinander vergleicht, das was verfügbar ist, aber auch die Fähigkeit Russlands, im Zweifelsfall zu eskalieren, das alles führt mich dazu, dass man auf keinen Fall einer Illusion nachhängen sollte, man könnte Russland strategisch in die Knie zwingen." (Wolfgang Richter)

Kommentare (1)

HPS

Leider hat Herr Richter vergessen zu erwähnen, dass im Rahmen der frühen Waffenstillstandsverhandlzngen Russland zugleich die faktische Entwaffnung der Ukraine gefordert hat! Darauf konnte sich eine überfallene Nation unmöglich einlassen. Und dass sich ein Selensky auf das Wort eines Boris Johnson verlassen würde, kann doch niemand ernsthaft glauben. Diese Annahme ist genauso wenig glaubwürdig wie die Behauptung, die russische Armee hätte sich freiwillig aus der Region Kiew zurückgezogen. ……alte, enttäuschte SPD-Schule

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